Männer, Gefühle und Gesundheit: Warum emotionale Intelligenz keine Schwäche ist
Viele Männer wurden darauf geprägt, Gefühle zu unterdrücken – mit Folgen wie Einsamkeit, Wut und innerer Distanz zu sich selbst. Doch echte Stärke entsteht durch emotionale Präsenz, Nähe und den Mut, Verletzlichkeit zu zeigen. Warum das so ist und wie Sie in fünf einfachen Schritten Ihre emotionale Intelligenz stärken können, erfahren Sie im folgenden Magazinartikel.
Ein Aufruf zu neuer Männlichkeit
„Was bist denn du für ein Weichei?!“ diesen Kommentar lese ich unter meinen Beiträgen auf Instagram immer wieder. Manche reagieren auch mit Hass oder Spott, aber eines haben diese Kommentare immer gemeinsam: Sie werden von Männern verfasst. Vielen Männern passt es anscheinend nicht, wenn ich über Gefühle spreche oder mich für mehr Empathie einsetze. Sie fühlen sich provoziert, wenn ich ein Mindestmaß an emotionaler Intelligenz einfordere oder ich mich kritisch zu „männlichen“ Problemen wie Einsamkeit oder Gewalt äußere.
Manchmal ist es für mich schon problematisch, ein rosa T-Shirt zu tragen. Anscheinend hat uns das traditionelle alte Männerbild immer noch fest im Griff. Verletzlichkeit wird immer noch als Schwäche gesehen, Gefühle gelten vermeintlich weiterhin als Expertise von Frauen und vielen Männern entgeht dadurch leider die Tiefe dieses Lebensaspekts. Schnell gilt ein Mann als Heulsuse oder Weichei und wird ausgegrenzt, wenn er andere Gefühle als Wut zulässt.
Hinterfragt wurde dieses System nie – dabei trägt es massiv zu Einsamkeit, Gewalt und Depressionen bei.
Und selbst heute, wo wir in unseren Breitengraden nicht mehr nur funktionieren müssen, um ein zerstörtes Land wiederaufzubauen, sondern authentisch leben könnten, halten sich alte „toxische“ Rollenbilder hartnäckig. Das Ergebnis: Ein kollektives Erbe an Gefühlsarmut, das sich bis in die Gegenwart auswirkt.
Männlichkeit im Schubladendenken: Warum Emotionen noch immer wenig Raum erhalten
Menschen denken allzu gerne in Schubladen, weil es die Welt für uns simpler macht. Männer und Gefühle zum Beispiel: Für viele ist das immer noch ein Widerspruch. Emotionalität wird nämlich von Menschen, die damit keine Erfahrung haben, meist als unangenehmer Kontrollverlust erlebt, der vermieden werden muss.
Das wird durch eine Gesellschaft verstärkt, die Männlichkeit immer noch durch Leistung und Macht definiert. Keinesfalls will man als „schwach“ oder „unmännlich“ gesehen werden. Dieser Druck, gepaart mit gewaltvollen Erziehungsmaßnahmen („Hör auf zu heulen oder ich gebe dir einen Grund dazu!“) veranlassen einen Großteil der Männer, ihre emotionale Welt zu verbergen – auch vor sich selbst.
Prinzipiell fehlt es Männern nicht an Emotionen, sondern meist an der Erlaubnis, diese wahrzunehmen und an der Fähigkeit, sie auszudrücken. Hinzu kommt, dass es an männlichen Vorbildern fehlt, die einen gesunden Umgang mit Emotionen vorleben.
Problematisch dabei ist nicht nur, dass ohne Emotionen eine wichtige menschliche Erlebnisebene verloren geht, sondern auch, dass unterdrückte Gefühle nicht einfach verschwinden. Nur weil Menschen etwas unterdrücken und nicht bewusst wahrnehmen oder zum Ausdruck bringen können, bedeutet das nicht, dass es keine Wirkung hätte. Oft sucht sich das Unterdrückte einen anderen Weg, beispielsweise über den Körper durch Symptome, bestimmtes Verhalten oder eben in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Unterdrückte Gefühle rauben die Lebensqualität
Gefühle zu verdrängen, führt zu einem ständigen inneren Abwehrkampf, der Energie kostet. Ein wichtiger Teil der Persönlichkeit wird blockiert, der eigentlich genauso gelebt werden will wie andere Teile. Wer jedoch nie lernt, seine Gefühle wahrzunehmen und zu benennen, lebt wie jemand, der nur einen Bruchteil seiner inneren Landkarte kennt und somit blind für ganze Gebiete des eigenen Selbst bleibt.
Ein Verlust von Lebensqualität und viel Stress sind Folgen, vor allem auch, weil zwischenmenschliche Beziehungen oberflächlich bleiben. Echte Nähe ist ohne emotionalen Austausch nicht möglich. In manchen Fällen dient das Unterdrücken von Emotionen auch dem Selbstschutz, beispielsweise, wenn etwas Traumatisches vorgefallen ist und sich die Psyche eines Menschen vor den schmerzhaften Folgen zu schützen versucht. Leider endet dieser Selbstschutz schließlich in einer emotionalen Selbstverstümmelung.
Jahrzehntelange Gefühlsunterdrückung ist auslaugend und hinterlässt eine Leere, die sich nicht durch Arbeit, Geld, Macht oder Alkohol füllen lässt.
Es ist, als würde man sein Leben durch eine stark getönte Scheibe betrachten: Die Farben wirken matt, die Kontraste verschwimmen und irgendwann vergisst man, dass es jemals anders war. Das Verblassen dieser Farben hat Folgen, sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft. Männern mangelt es nicht an Stärke oder Intelligenz, sondern leider oft an der Fähigkeit, das eigene Innenleben auf gesunde Weise zu navigieren und reflektieren.
Weitreichende Folgen für den Einzelnen und die Gesellschaft.
Das Ergebnis ist meist bittere Isolation, nicht umsonst sind Männer die einsamste gesellschaftliche Gruppe. Vielen fehlt es an echten Freundschaften, dadurch auch an sozialer Unterstützung und tiefgründigen Gesprächen über persönliche Themen.
Das erhöht das Risiko von Depressionen, Suchterkrankungen und Gewalttaten. Wenn schon Gefühle, dann Wut, Hass und Aggression, aber keinesfalls dürfen unmännliche Gefühle zugelassen und verarbeitet werden. Trauer, Angst oder Scham gefährden die Aufrechterhaltung des männlichen Selbstbildes und so wird die Wut zum einzigen Ausdruck vieler unterschiedlicher Regungen.
  
Aus Verletzung wird Ärger, aus Einsamkeit wird Aggression und aus Frust wird Zynismus. Eine Abwärtsspirale, die vielen Männern die Fähigkeit, sich Bedürfnisse nachhaltig und friedlich zu erfüllen, raubt. Besonders tragisch dabei: Nicht selten steckt hinter dieser männlichen Härte die tiefe Sehnsucht nach Nähe, die jedoch in unerreichbare Ferne rückt, solange Verletzlichkeit weiterhin tabu bleibt.
Emotionale Präsenz als Stärke: Nähe, Vertrauen und erfüllte Beziehungen schaffen
Doch genau hier liegt auch unsere Chance: Wenn wir lernen, Emotionen zuzulassen und zu verstehen, können wir nicht nur individuelles Leid lindern, sondern auch als Gesellschaft gesünder und stabiler werden. Die eigenen Gefühle erfolgreich zu navigieren, ermöglicht es, auch die Gefühle anderer zu verstehen. Das schafft Nähe und Vertrauen, führt zu erfüllenden Beziehungen und einem Zugehörigkeitsgefühl, das Sinn stiftend wirkt – zentrale Grundlagen für ein gelungenes Leben.
Männer, die emotional (und) präsent sind, vor allem in ihrem Privatleben, sind wichtige Stützen der Gesellschaft und Vorbilder.
Die Schritte, um dahin zu gelangen sind simpel aber herausfordernd: Auf individueller Ebene müssen Männer lernen Gefühle wahrzunehmen und zu benennen. Dazu reicht es, wenn man regelmäßig kurz innehält und sich fragt: Was fühle ich gerade – und wo spüre ich das im Körper? Das nächste Ziel wäre es, diese Gefühle in Worte zu fassen, vielleicht anfangs nur für sich selbst, später auch gegenüber vertrauten Menschen. Wichtig dabei ist, dass sich Männer hier gegenseitig zu mehr Offenheit ermutigen und sich unterstützen, statt zu beschämen.
Auch sichere Räume, wie Gruppen oder Coachings, in denen Männer ihre sozialen Kompetenzen trainieren können, wären notwendig. Bildung und Aufklärung in dem Bereich könnte auch viel bewirken. Wenn wir emotional intelligenten Männern endlich Aufmerksamkeit schenken, sie ernst nehmen und für ihren Mut belohnen, setzt sich ein positiver Kreislauf in Gang. Das Vorurteil, dass Gefühle eine Schwäche wären, wird damit endlich widerlegt.
5 Schritte, um die emotionale Präsenz zu stärken
- 1. Gefühle wahrnehmen: Nehmen Sie sich bewusst Zeit, um zu spüren, was gerade in Ihnen passiert – ohne sofort zu bewerten oder zu verdrängen. Auch Wut, Angst oder Trauer verdienen Aufmerksamkeit.
- 2. Gefühle benennen: Üben Sie, Ihren inneren Zustand in Worte zu fassen. Selbst kurze Sätze wie „Ich fühle mich enttäuscht“ oder „Ich bin traurig“ schaffen Klarheit und reduzieren inneren Druck.
- 3. Gespräche suchen: Teilen Sie Ihre Gefühle mit vertrauten Personen. Tiefe Gespräche entstehen nicht über Small Talk, sondern wenn Verletzlichkeit möglich ist.
- 4. Vorbild sein: Zeigen Sie anderen Männern, dass emotionale Offenheit keine Schwäche ist. Als Vater, Bruder, Freund oder Kollege können Sie neue Normen setzen.
- 5. Übung macht den Meister: Emotionale Intelligenz ist kein Talent, sondern eine Fähigkeit, die trainiert werden kann. Tagebuch, Reflexion, Coaching oder Therapie sind praktische Wege, die eigene emotionale Welt zu navigieren.
Fazit
Wenn wir wirklich hinhören, anstatt zu urteilen und uns verletzlich zeigen, anstatt ein Pokerface aufzusetzen, können wir als Gesellschaft heilen. Wenn wir den Mut haben, anderen mitzuteilen, wie es uns wirklich geht, zeigen wir, dass Stärke und Offenheit keine Gegensätze sind. Je mehr Männer lernen, sich emotional zu zeigen, desto reicher werden ihre Beziehungen und desto besser wird ihre Lebensqualität. Somit wird unsere gesamte Gesellschaft nicht nur sicherer, sondern auch gesünder. Aber alles beginnt mit dem ersten kleinen Schritt und der Erlaubnis zu fühlen.






